Die Realität in kleinen Häppchen
Posted on 06. Oct, 2010 by Ole Seidenberg in Germany
Wie jedes Mal bei den UN-Klimakonferenzen dauert es eine Weile, bis ich meine, äh, Verzeihung, UNSERE Chef-Delegierte Nicole Wilke zu Fassen kriege und wir gemeinsame 10-30 Minuten finden.
Heute waren es zwar nur fünf Minuten (abzüglich der Zeit, die ich brauchte, um meine vergleichsweise doch naiven Fragen dem Eloquenz-Niveau dieser Diplomatin anzupassen), immerhin aber doch ein erhellendes Gespräch.
Der vor mir terminierte Journalist stahl mir ein wenig meiner Zeit, würdigte aber immerhin mein Tracker-T-Shirt mit den Worten: “Aha, ist das Ihr ganz persönlicher Tracker, Frau Wilke?” - worauf ich bemerken durfte: “Ja, das hat hier nicht jeder!”… Noch immer pflegen wir trotz anfänglich holpriger Kommunikation eine gelöste Kommunikation, in der ich Frau Wilke nach wie vor mit “Sie” anspreche, während einige andere Delegationsmitglieder mit mir bereits das “Du” pflegen.
Aber: Sie ist ja auch die Chefin. Entsprechend zurückhaltend gab sich zunächst Ilka Wagner, die mit am Tisch saß und meine Fragen bereitwillig weiter beantwortete, als die fünf Minuten vorbei waren.
Noch einmal packte ich, gleich zu Beginn, die Frage nach Kopenhagen aus. 9 Monate sind seit dem Disaster in Dänemark vergangen, hier aber ist alles ruhig, die diplomatischen Mühlen mühlen, als wäre nichts gewesen. Da darf man doch fragen, was sich seit Kopenhagen getan hat? Was da eigentlich los war? Wieso sich ein Deal, der in Kopenhagen schon hätte durchgerungen werden sollen, jetzt auf einmal bis Süd Afrika 2012 verschieben soll?
Die Antwort ist realistisch, aber auch ernüchternd. Man habe in Kopenhagen gesehen, wie weit die Bereitschaft der Staaten wirklich gediehen ist, sich aufeinander zuzubewegen, so Wilke.
“Es war richtig, dass die Zivilgesellschaft so viel Druck aufgebaut hat. Ohne diesen Druck und die Öffentlichkeit wären keine Staatschefs gekommen. Ohne das große Scheinwerferlicht auf Kopenhagen und die Forderung, es dort zu schaffen, wären wir nie so weit gekommen. Dass es trotzdem nicht gereicht hat zeigt, wo wir aktuell wirklich stehen.”
Mit anderen Worten: Es macht keinen Sinn, für Cancun eine ähnliche Strategie zu wählen, wie für Kopenhagen. Die Realität sieht so aus, dass wir in Cancun kein Abkommen erreichen werden, frühestens kann in Süd-Afrika 2012 davon die Rede sein. Wir befinden uns auf einem “langsamen, großen Tanker”, so Wilke.
Diskutiert und verhandelt wird deshalb für Cancun derzeit kein großes, umfassendes Paket, sondern ein “balanced package”, das eine möglichst ausgewogene Bandbreite der schaffbaren Verhandlungshäppchen umfassen soll.
Mich persönlich erinnert das alles sehr an den Bau einer Webseite unter Zeitdruck: Die große Wunschliste der Features muss zunächst zusammengestrichen werden, dann verzögert sich der Launch der Seite und am Ende bleiben noch jede Menge Bugs und Nachbesserungen. Mit einem wesentlichen Unterschied: Wenn eine Webseite nicht rechtzeitig online geht, geht sprichwörtlich “die Welt davon nicht unter”.
In diesem Fall aber ist das anders. Es bleibt keine Zeit zum “Testen”, keine zum “Fixing von Bugs”, keine Zeit, um zu sehen, ob das Konzept wirklich anschlägt und funktioniert. Es muss funktionieren, sonst können 3000 Klimadiplomaten in 100 Jahren per Schlauchboot zu einem Verhandlungsort ihrer Wahl schippern, da Fliegen verboten und Wasser in Massen vorhanden sein wird.
Dennoch bleibt der Prozess hier laut Wilke unumgänglich. Und ich nehme ihr ab, dass sie das nicht sagt, weil sie so gerne in schicken Hotels wohnt und ihren Job erhalten will.
“Es gibt keine Alternative zu diesem Prozess. Es muss immer beides passieren: das Engagement zu Hause, das Engagement der Zivilgesellschaft, Ereignisse wie der 10. Oktober, das Handeln der Wirtschaft… aber eben auch das Verhandeln auf internationaler Ebene wie dies hier geschieht.”
Wilke führt an, dass sie schon viele Fortschritte gesehen habe seit Kopenhagen, Fortschritte, die sich nicht im vorliegenden Text nachweisen lassen, sondern die Kopenhagen und die internationale Aufmerksamkeit darauf indirekt bewirkt haben. Bilaterale und plurilaterale Abkommen zwischen Ländern außerhalb des UN-Rahmens, direkte Gespräche und Aktionen, die sich oft schneller umsetzen lassen, als das große große Gesamtpaket.
Aber auch Änderungen im Text sind natürlich da, wenngleich nach wie vor - und wohl noch lange Zeit - über von außen unfassbar pingelige Dinge gestritten wird.
Das oben angesprochene “balanced package” ist eines davon. Jetzt ist man sich einig, dass es mit einer “alles oder nichts” Einstellung nie zu einem Ergebnis kommen kann, nur: Was ist nun balanciert? Was genau wird nun als Häppchen in Tianjin vorgekaut, um es dann in Cancun verdauen zu können? Allein diese Frage kostet wertvolle Stunden.
Heute ist schon Mittwoch. Die Mitte der Verhandlungswoche verstreicht. Von einem Ergebnis ist nichts zu sehen und auch Frau Wilke tut sich, so gibt sie zu, schwer mir klare Ergebnisse benennen und in Worte fassen zu können:
“Das, was sich hier tut, ist schwer zu benennen und beschreiben. Es bleibt an vielen Stellen ein Gefühl dafür, was geht, ein gegenseitiges Abtasten, ein langsames Vorrücken. Viel davon passiert nicht im Plenarsaal oder auf dem Papier, sondern zwischen den Zeilen. Aber es passiert.”
Ich stelle noch eilig eine Frage zu den Laufzeitverlängerungen in Deutschland.
“Fällt Ihnen so eine Entscheidung und so ein mageres Energiekonzept nicht eiskalt in den Rücken? Steht das nicht alles diametral dem gegenüber, was Sie hier auf internationaler Ebene durchzuringen versuchen?”
Doch so leicht lässt sich Frau Wilke natürlich nicht in Bedrängnis bringen, dafür ist sie harte Fragen und Verhandlungstaktiken einfach zu gewohnt.
Es sei eine komplexe Interessenslage gewesen, die zum Energiekonzept und der Entscheidung geführt habe. Und genauso sei es auch auf der Ebene der Klimaverhandlungen.
“Wenn wir hier nur als Umweltschützer auftreten würden, würden wir vielleicht eine viel härtere Meinung vertreten. Aber das, was wir hier als Delegierte Vertreten, entspricht eben der Gemengelage in Deutschland. Seit Kyoto hat sich da viel verändert. Die Aufmerksamkeit für das Thema ist so gestiegen, dass sich jedes einzelne Ministerium, Unternehmen, Lobbyisten und Verbände in irgendeiner Weise davon betroffen fühlen und ihre diversen Interessen zu vertreten suchen. Das Ergebnis dieser verschiedenen Pole müssen wir dann hier als deutsche Position vertreten.”
Schon waren meine fünf Minuten abgelaufen. Alle direkten Zitate soll ich wie immer mit der Pressesprecherin im Bundesumweltamt absprechen, ermahnt mich Wilke zum Abschied mit einem Augenzwinkern. Und fügt hinzu: “Ich habe ihr auch neulich erklärt, welche Rolle Sie als Tracker einnehmen, sie ist also auf Sie vorbereitet”. Finde ich gut, man weiß also beim BMU das Bloggen zu schätzen :-)
Ilka blieb noch ein Weilchen und klärte mich über ein paar spannende Details auf, ergänzte Frau Wilkes Aussagen und sorgte vor allem dafür, dass ich mich durch das nette “du” und das “Mach et jut” zum Abschied für einen Moment wie ein Teil des Teams fühlen durfte.
Und letztlich sind wir das hier wohl alle. Ein Teil des Teams, ein Teil der vielen Köche, die den Brei hoffentlich nicht verderben, sondern in verdaubare Häppchen verpacken. Dieses Mal für Cancun.
Negotiator Tracker - Ole Seidenberg
Ole Seidenberg is a 25-year old sociology graduate and blogger from Hamburg, Germany. Having worked as an intern for both the United Nations General Assembly in New York and a development NGO in Sierra Leone, Ole has witnessed both diplomatic meetings and their failure to achieve clearly visible and effective decisions... read more»
Read more of Ole's posts here.
Follow Ole on twitter @socialbloggerde