Hoffnung, worauf?
Posted on 08. Oct, 2010 by Ole Seidenberg in Germany
Für mich ist es schon heute der letzte Tag der Verhandlungen, obwohl diese bis etwa morgen mittag chinesischer Zeit angesetzt sind. Die Tracker sind morgen vormittag noch ein letztes Mal mit der neuen Chefin des UN Framework on Climate Change, Christiana Figueres, verabredet; gleich danach breche ich mit zwei meiner Kollegen zu einer kleinen Tour auf, um eine chinesische Batterie-Fabrik zu besichtigen.
Dass bis morgen mittag noch weltbewegendes passieren wird, glaube ich derweil persönlich nicht. Wie so oft in den vergangenen eineinhalb Jahren meines Tracker-Daseins poppten diese Woche neue Schlagwörter auf, die die Presse und NGO-Welt bereitwillig aufgriffen, um nicht gänzlich mit leeren Händen dazustehen. Schlagwörter, die mir am Ende dieser Vorverhandlungen zu Cancun im Magen liegen wie diese kleinen Schwämme, die man stark übergewichtichtigen Menschen im Notfall verabreicht, um sie vorübergehend satt zu machen und dem Körper vorzutäuschen, er habe schon gegessen.
Ein “balanciertes Paket” für Cancun, der “Rahmen für eine COP-Entscheidung”, kleine “Fortschritte im Bereich der juristischen Fragen”, sowie neue “bilaterale und plurilaterale Einigungen”… wunderbare Appetithäppchen, etwa so schön aufbereitet, wie der Kaffee im Konferenzzentrum, der aus teuren Jura Espressomaschinen strömt, aber trotzdem auf Instantpulver basiert.
Diese künstlichen Sattmacher für NGOs, Tracker und Presse sind scheinbar notwendig geworden, gab es doch nur allzu viel Enttäuschung nach und durch Kopenhagen, die dazu führt, dass wir hier de facto von vorn anfangen. Ich selbst war drauf und dran zu glauben, es wäre anders. Wie gerne hätte ich dem Wunsch unserer tcktcktck-Kollegen stattgegeben, bitte kein allzu negatives Narrativ um diese Verhandlungen zu stricken, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen und die Motivation hoch zu halten.
Wäre da nicht dieses Treffen heute mittag gewesen, dass wir weder geplant, noch erwartet hatten. Andrea, Phil, Ferran und ich saßen also bei Salat und lauwarmen Nudeln, als uns klar wurde, dass unser fünfter Gast am Tisch ein Delegierter aus den Niederlanden war. Erst gestern hatten wir die Idee, nicht mehr unseren eigenen Delegierten hinterher zu laufen, sondern heute einfach andere Mitgliedsstaaten der EU zu befragen, was diese über unsere jeweiligen Positionen in der EU denken würden.
Und wie nicht anders zu erwarten war, entsprach die Linie in etwa dem, was auch Frau Wilke mir eigentlich wohl gerne hätte sagen wollen, wäre es nicht “on track” gewesen, sondern eben beim Mittagessen unter uns.
“There are some good and some bad ideas from every single member state in the EU. Most of us already want to go to the 30% goal, but some are blocking the process and so we keep the old standpoint here at the UN level: We will go to 30%, but only under the condition that others move forward as well. China moves, but only under the condition that the US moves. The US cannot really move, since they need a two third majority in their Congress to sign any international agreement and thus, there is heavily limited space for them to officially agree to anything here.”
Ok, so weit, so gut. Das wussten wir in etwa. Seine Quint-Essenz aber war folgende:
“Wir in den Niederlanden können mit bis zu 4 weiteren Metern eines höheren Meeresspiegels leben. Der tiefste Punkt in den Niederlanden liegt bei 15 Metern unter Normal Null! Und dort leben immernoch Menschen… gut, diese Gegend wird es schwer haben, aber im Kern der Sache sind wir Profis, was den Umgang mit steigendem Meeresspiegel angeht.”
Ob er denn gar keine Hoffnung für Cancun habe, fragten wir ihn zum Abschied.
Die lapidare, aber alles verratende Antwort:
“Hoffnung habe ich immer. Aber worauf ich hoffen soll, wenn wir jedes Mal nur zu entscheiden versuchen, was wir das nächste Mal entscheiden wollen, anstatt einfach mal zu entscheiden,… dann frage ich mich: Hoffnung, worauf?
Ich persönlich fühle mich am Ende. Am Ende einer Reise angekommen. Ich weiß, dass diese Reise weitergeht und weitergehen muss. Aber wenn diese UN-Verhandlungen laut meiner deutschen Chef-Delegierten ein riesiger, großer, langsamer Tanker sind, dann muss ich mich doch sehr deutlich fragen, ob ich weiterhin den Kopf in die Schiffsschraube dieses riesigen, einsamen Tankers stecken möchte, um damit irgendwann vielleicht eine Kertwende zu bewirken… oder, ob ich nicht lieber darauf baue, dass wir alle gemeinsam mit unseren vielen kleinen Paddelbooten mehr bewirken können.
Wie zum Beispiel am Sonntag, dem 10.10.2010 - wieder einmal ein Klimaaktionstag von 350.org, der es in sich hat. Oder aber durch Kampagnen wie 100prozentzukunft.de und den vielen kleinen Orts-Initiativen, die bereits auf dem richtigen Weg sind. All diese Menschen sollten sich nicht vom Weg abbringen lassen, “nur”, weil die internationale Rechtssetzung so lange dauert, “nur”, weil einige Staaten auf internationaler Ebene von ihren Verhandlungspartnern mehr rausholen wollen, als diese aktuell zu geben bereit sind.
Wer in seiner Region für den Energiewandel tätig werden will, kann dies tun, ganz ohne die UN!
Je weniger und langsamer auf dieser internationalen Ebene passiert, desto mehr sind wir alle selbst in der Verantwortung. Und dabei ist insbesondere das Beispiel Deutschlands ein sehr spannendes, wie wir am eher rückwärts gewandten Energiekonzept der Bundesregierung gesehen haben. Denn obwohl Deutschland im Koalitionsvertrag ein Reduktionsziel von 40% bis 2020 festgehalten hat, vertritt es einerseits mit der EU offiziell derzeit noch 20%, andererseits versucht die Bundesregierung, diese 40% unter anderem mit der Verlängerung von AKW-Laufzeiten zu erreichen.
Wenn wir den Wandel also wollen, Ihr, ich, wir alle… dann hat es schon zu Zeiten von Kyoto nicht gereicht, zuzuhören und abzuwarten, dass ein Obama den Klimahelden spielt und trotz mangelnden Rückhalts in seinem Kongress die Welt retten geht. Veränderung wird kommen, doch wenn wir auf Cancun 2010, Süd-Afrika 2011 oder gar Brasilien 2012 warten, wird uns die Zeit davon laufen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Negotiator Tracker - Ole Seidenberg
Ole Seidenberg is a 25-year old sociology graduate and blogger from Hamburg, Germany. Having worked as an intern for both the United Nations General Assembly in New York and a development NGO in Sierra Leone, Ole has witnessed both diplomatic meetings and their failure to achieve clearly visible and effective decisions... read more»
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